
PM: Verantwortung für alle übernehmen: Demokratie braucht Teilhabe, Migrationsgesellschaft braucht Vertrauen
Kommentar des Bundeszuwanderungs- und Integrationsrats (BZI) zur Regierungserklärung von Bundeskanzler Friedrich Merz am 16. Mai 2025:
Die Regierungserklärung von Bundeskanzler Friedrich Merz war entschlossen im Ton – aber auch ein Spiegel dessen, was zu wenig gesehen wird: die Lebensrealitäten von Menschen ohne deutsche Herkunft, ihre Leistungen, Anliegen und Teilhabeansprüche. Während Sicherheit, Verteidigung und Wirtschaft im Zentrum standen, blieb eine zentrale Frage unbeantwortet: Wie stärken wir unsere Demokratie im Innern – in einer pluralen Gesellschaft?
Wer Verantwortung betont, muss sie auch gegenüber allen tragen, die dieses Land mitgestalten. Der BZI fordert daher eine entschlossene Demokratieoffensive nach innen:
„Wer in einer unsicheren Welt äußere Sicherheit beschwört, darf die innere Stärke nicht vergessen. Eine resiliente Demokratie braucht Investitionen – in politische Bildung, in das Ehrenamt, in echte Teilhabe. Die Infrastruktur der Demokratie ist genauso wichtig wie Straßen und Schienen,“ so Didem Karabulut, Vorsitzende BZ.
Eine klare Haltung zur Migrationsgesellschaft? Zu zaghaft!
Zwar bekennt sich der Bundeskanzler dazu, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist – und das ist ausdrücklich zu begrüßen. Auch die Aussage, Menschen mit Migrationsgeschichte seien ein „unverzichtbarer Teil unserer Gesellschaft und unseres Landes“, sehen wir als klares Signal der Anerkennung. Doch gleichzeitig wird deutlich: Migration wird nahezu ausschließlich im sicherheits- und ordnungspolitischen Kontext behandelt. Begriffe wie „Rückführungsoffensive“, „Grenzschutz“, „Begrenzung“ und „Steuerung“ dominieren die Wortwahl – menschenrechtliche Perspektiven und Vorstellungen echter Teilhabe bleiben außen vor.
Politische Teilhabe? Kein einziges Wort.
In einer Zeit, in der unsere Demokratie unter Druck steht – auch durch rechtsextreme Stimmen im Bundestag selbst – wäre eine klare Investition in politische Teilhabe, Integration und demokratische Bildung zwingend notwendig gewesen. Leider finden diese Aspekte keinen Eingang in die Regierungserklärung. Das ist eine verpasste Chance. Politische Teilhabe zu fördern heißt, Demokratie zu stärken – nach innen wie nach außen.
Ehrenamt als demokratischer Kitt
Das Wort „Ehrenamt“ fällt in der gesamten Regierungserklärung nur einmal. Dabei ist gerade das zivilgesellschaftliche Engagement – insbesondere auch von Menschen mit Einwanderungsgeschichte – das Fundament unserer offenen, demokratischen Gesellschaft. Es integriert, es solidarisiert, es schafft Zugehörigkeit. Wer den sozialen Zusammenhalt stärken will, muss genau hier investieren: in Strukturen, die lokale demokratische Verwurzelung fördern – auch und gerade in Regionen, in denen politische Entfremdung wächst.
Rechtsextremismus? Fehlanzeige.
Besonders erschütternd ist, dass Rechtsextremismus in der Regierungserklärung kein einziges Mal erwähnt wird – obwohl er längst zur realen Bedrohung geworden ist. Rassistische, antisemitische und antimuslimische Angriffe nehmen zu. Teile dieser Gesellschaft, die „nicht deutsch aussehen“, erleben Ausgrenzung, Hass und Gewalt – auf der Straße, im Netz, in Behörden. Hanau darf sich nicht wiederholen! Wenn Bundeskanzler Merz es ernst meint mit Verantwortung, dann muss er diese Gefahr klar benennen – und Strukturen schaffen, die uns alle wirksam schützen.
Integration? Ja – aber bitte konsequent.
„Integration ermöglichen, aber auch einfordern“ – so heißt es in der Regierungserklärung. Das ist richtig, aber unvollständig. Integration kann nur gelingen, wenn sie durch konkrete Teilhabechancen gestützt wird: Das angekündigte Bleiberecht für gut integrierte Geduldete ist ein erster Schritt – aber warum nicht auch die Garantie zur deutschen Staatsbürgerschaft? Wer Forderungen erfüllt, verdient politische Rechte und eine echte Perspektive.
Wer das Ziel formuliert, „schnellstmöglich in Arbeit“ zu bringen, muss die notwendigen Sprach- und Integrationskurse sichern und ausbauen – nicht abbauen. (Anm.: Erste Träger berichten von Kürzungen im BAMF-Bereich – hier braucht es verlässliche Finanzierung.)
Und: „Wer fordert, muss auch fördern. Sprache darf nicht länger als Vorwand für Ausgrenzung dienen. ‚Deutsch sprechen‘ heißt nicht automatisch akzentfrei oder dialektlos zu sprechen. Zur Vielfalt der deutschen Sprache gehören auch migrantische Soziolekte,“ so Karabulut.
Wir fordern deshalb eine Demokratieoffensive – jetzt!
Wir tragen diesen Staat. Wir gestalten mit. Wir fordern Gleichberechtigung, und wir bringen Leistung, Engagement, Stimme und Kompetenz ein. Der Satz des Kanzlers „Der Staat sind wir alle“ gilt nur dann, wenn alle gehört, geschützt und einbezogen werden. Auch diejenigen, die häufig Opfer von Gewalt und Ausgrenzung sind.
Der Bundeszuwanderungs- und Integrationsrat (BZI) ist der Bundesverband der kommunalen Integrations-& Migrations- Ausländerbeiräte und ihrer Landesdachorganisationen.