Bundeszuwanderungs- und Integrationsrat (BZI)

Offener Brief an BKA Chef

Offener Brief zum Abschlussbericht des BKA zum rassistischen Attentat in Hanau am 19.02.2020

Sehr geehrter Herr Münch,

der Bundeszuwanderungs- und Integrationsrat (BZI) arbeitet religionen-, ethnien-, und parteiübergreifend und versteht sich als politische Interessenvertretung der migrantischen Bevölkerung in Deutschland. Wir stehen Migrant*innen und der Bundesregierung, dem Deutschen Bundestag, dem Bundesrat und bundesweiten Institutionen in unterschiedlichen Themen als Ansprechpartner zur Verfügung.

Mit diesem Brief wenden wir uns an Sie, weil uns das, was am 19. Februar 2020 in Hanau geschah, weiterhin sehr beschäftigt. Aus den Medienberichten haben wir entnommen, dass Ihr Haus derzeit dabei ist, einen Abschlussbericht zu dieser Gräueltat zu formulieren und die ihr zu Grunde liegende Motivation zu benennen.

Medienberichten zufolge stellten Ihre Ermittler eine These auf, die wir sehr alarmierend finden. Rassismus als Hauptmotiv zu verneinen, ist ignorant, brandgefährlich und rücksichtslos, ja sogar beleidigend gegenüber den Opfern und ihren Angehörigen. In Hanau wählte der Täter seine Opfer nach rassistischen Kriterien. Ob er ein Trittbrettfahrer war, der einzig Aufmerksamkeit wollte oder einer, der rassistischen Ideologien folgte, ändert nichts daran, dass dies eine rassistisch motivierte Tat war – und nicht die Tat eines verwirrten Einzeltäters! Die Mär des ewigen Einzeltäters relativiert wieder einmal mehr den Rassismus in unserer Gesellschaft.

Vor fast 20 Jahren, im Jahr 2001, beanstandete ich auf der Herbsttagung des BKA als Vorsitzender des BZI das Erfassungsdefizit bei rechtsradikalen Drohungen. Der damalige Präsident versicherte mir, dass dieses Defizit verbessert wird. Bis heute wurde es nicht korrigiert und noch schlimmer: aus den Worten wurden Taten. Ich möchte nur an die jahrelange Verblendung des rassistischen Motivs bei dem Anschlag in der Kölner Keupstrasse erinnern. Hier haben die Ermittler, obwohl alles darauf hindeutete, einen rassistischen Hintergrund relativ schnell ausgeschlossen, weil sie keinen Bekennerbrief gefunden haben. Dass der Nagelbombenanschlag durch das rassistische Terrornetzwerk NSU verübt wurde, kam erst Jahre später, als noch weitere Opfer eingebüßt werden mussten, ans Licht.

Das Manifest des Hanauer Täters, das offenkundig ausländerfeindliche und volksverhetzende Aussagen enthält, spricht für sich. Dieser Mann war paranoid und verblendet von Verschwörungsideologien, doch seine Tat war in erster Linie eines: rassistisch!

 

Sehr geehrter Herr Münch,

wenn im Nachgang in einem staatlichen Bericht relativierende und gar negierende Einschätzungen über seine Tat festgehalten werden sollten, wird dadurch für die Betroffenen ein Klima der Einschüchterung entstehen, dass sie völlig schutzlos fühlen lässt und das Vertrauen gegenüber dem Staat zerstört. Denn Rassismus fängt nicht erst bei manifesten, rechtsextremen Gesinnungen an, sondern zeigt sich bereits im alltäglichen Handeln.

Deshalb fordern wir Sie auf: Überarbeiten Sie Ihre Einschätzung vor der Fertigstellung des Berichts. Beschweren Sie den Schmerz und die Trauer der Angehörigen nicht und lassen Sie unsere Gesellschaft nicht im Stich, die sich nur verändern kann, wenn Rassismus endlich als ihr Fehler eingesehen wird!

 

Mit freundlichen Grüßen,

Memet Kilic

Vorstandsvorsitzender des BZI